„Arrogant und kaltschnäuzig“

Frankfurter Rundschau 27-01-2011

Das Missbrauchsopfer Weiner spricht im FR-Interview über die Versuche der Kirche, aus dem Skandal das Beste zu machen.

Herr Weiner, vor einem Jahr haben Sie mit anderen den Missbrauchsskandal am Canisius-Kolleg öffentlich gemacht. Als Aufklärer gelten jedoch Jesuiten, allen voran der bisherige Schulleiter Mertes. Ärgert Sie das?
Es gibt ein öffentliches Bild von Pater Mertes, das die Rolle der Betroffenen zurückdrängt. Es waren natürlich Betroffene selbst, die den Prozess ins Rollen brachten. Als die Vorfälle bekanntwurden, haben sie die Aufklärung vorangetrieben und vieles getan, was die Jesuiten hätten tun sollen.

Zum Beispiel?
Die Aufarbeitung der Ereignisse und die Rekonstruktion der Abläufe. Da haben die Betroffenen viel selbst geleistet, was dann in die offiziellen Untersuchungsberichte einfloss.

War der Missbrauch denn vorher nie ein Thema?
Die Gerüchte gab es schon lange. Unter den Altschülern war das Schulgespräch. Es hätte für die Jesuiten sehr viel früher die Möglichkeit gegeben, dem nachzugehen.

Sie haben einen Sturm ausgelöst und eine gewaltige Krise der katholischen Kirche. Hatten Sie das erwartet?
Nein, keiner von uns. Es war uns klar, dass es am Canisius-Kolleg viele Opfer geben musste. Uns war aber nicht bewusst, dass dies an anderen jesuitischen und anderen katholischen Einrichtungen so weit reichte.

Wie haben Sie dieses Jahr erlebt, wie hat sich Ihr Leben verändert?
Ich kann mir selbst gegenüber offener sein und mit anderen offener über das Geschehene reden. Ich kann selbstbewusster mit den Erfahrungen umgehen.

Hatten Sie denn die Erlebnisse vorher verdrängt?
Verdrängt nicht. Aber das sind ja Geschehnisse, die man nicht permanent vor Augen haben möchte. Man weiß, man ist behindert dadurch, aber man möchte sich nicht dauernd erinnern. Die Erinnerungen kamen aber immer wieder hoch.

Wie schwer war es für Sie, sich öffentlich zu erinnern?
Am Anfang habe ich mit einem Journalisten gesprochen, dann mit der Familie und Bekannten. Das fiel mir sehr schwer.

Wie haben Sie die Reaktionen der Jesuiten erlebt?
Die Jesuiten waren zuerst sehr zögerlich. Dann haben sie eingewilligt, am Eckigen Tisch mit uns zu reden. Das war sehr konfrontativ. Aber unser Eindruck war, dass das auch etwas bewirkt hat.

War es so?
Das Gespräch riss wieder ab. Ein zweites Treffen, bei dem es um die konkreten Forderungen ging, verlief schon wesentlich kühler. Danach gab es gar kein Gespräch mehr mit den Jesuiten.

Als es ums Geld ging, war es vorbei?
Das hat sich uns so dargestellt. Als es um die Hilfe und die Anerkennungsleistung ging, war die Reaktion kühl. Und wir waren ziemlich deprimiert.

Die Jesuiten bieten Ihnen 5000 Euro. Der Ordensobere meint, sie gingen an die Grenzen ihrer finanziellen Möglichkeiten.
Das glauben wir nicht. Diese Summe wird den Jesuiten nicht sonderlich wehtun, sie werden es aus ihrem Etat bezahlen. Deswegen werden sie kein Grundstück oder etwas anderes verkaufen.

Halten Sie dann auch die öffentliche Reue für unglaubwürdig?
Reue zeigt sich nicht nur in Worten, sondern auch in einer Sühneleistung. Ich bezweifle, dass das eine ehrliche Reue ist. Bei vielen von uns ist die Wut groß.

Wie blicken Sie heute auf den Orden?
Die Jesuiten galten ja immer als eine Elite unter den Kirchenleuten. Das sehe ich nun komplett anders. Die Jesuiten agieren nicht anders als eine andere Organisation, die in einer Krise versucht, für sich selbst das Beste draus zu machen − und möglichst sogar noch mit einem Imagegewinn aus der Krise hervorzugehen.

Dieser Wunsch, die Krise möge die Kirche stärken, wird ja in jüngster Zeit häufiger von Bischöfen ausgedrückt.
Das erschreckt mich sehr. Ich halte das für arrogant und kaltschnäuzig.

Interview: Wolfgang Wagner

Thomas Weiner, 49, ist EDV-Administrator und lebt in Berlin. Er hat das Canisius-Kolleg von 1971 bis 1979 besucht und ist dort Opfer sexueller Gewalt geworden. Weiner ist Mitglied der Betroffenen-Initiative Eckiger Tisch.

One Comment

  1. Dieser Wunsch, die Krise möge die Kirche stärken, wird ja in jüngster Zeit häufiger von Bischöfen ausgedrückt.
    Das erschreckt mich sehr. Ich halte das für arrogant und kaltschnäuzig.

    ja´- die gehoehren zerschlagen !!!!

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